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Die AfD und ihre Wähler: Alles Nazis?

Immer wieder hört man, so oder so ähnlich

Kaum äußert man sich kritisch, wird man als “Nazi” beschimpft und auch in “den Medien” wird der AfD und ihren Wählern immer wieder dieser Vorwurf gemacht.

Gerne ist dann auch die Rede von der “Nazi-Keule”. Tatsächlich kommt der Nazi-Vorwurf, gerade in sozialen Meiden, wo der sprachliche Colt locker sitzt, oft schnell und genau so oft unangemessen.

“Nazi”: Sachlich falsch und nicht hilfreich

Ich spreche bei den AfD’ern, noch weniger bei deren Wählern, ganz bewusst nicht von “Nazis”, oder auch nur von “Neonazis”. Warum?

Zunächst ist der Tatbestand ist aus politikwissenschaftlicher Sicht schlicht nicht erfüllt. Wichtiger: Eine derartige Titulierung ist der Diskussion nicht förderlich. Stattdessen erlaubt sie den so Angesprochenen auch noch die Selbstinszenierung als Opfer der “Nazi-Keule”.

Nicht jeder, der Menschen aufgrund ihrer Herkunft pauschal diskriminiert und faschistische Züge entwickelt, ist ein (Neo-) Nazi. Auch nicht, wenn er mit richtigen Neonazis “demonstriert”. Der Verzicht auf den Begriff macht den Beschriebenen allerdings nicht besser.

Es ist gut belegt (und wurde auch schon innerparteilich beklagt), dass eine ganze Reihe von AfD-Spitzen gerne Neonazis in ihrem Umfeld dulden und sich selbst auch gerne und wiederholt Sprachfiguren und Argumentationslinien aus der Nazizeit bedienen. Aber auch das rechtfertigt aber keine Gleichsetzung und erst recht keine pauschale. Auch nicht, wenn man zuvor als “Linksfaschist”, “linksgrünversifft” oder “Systemhure” bezeichnet wurde.

Ok, keine “Nazis” – aber was dann?

Ganz einfach:

Pauschalisierender Hass aufgrund Geschlecht, Abstammung, “Rasse”, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöser oder politischer Anschauungen, sexueller Orientierung oder sonstwas ist unterste Schublade, und zwar auch wenn man ihn korrekt, nämlich als “pauschalisierenden Hass”, oder einfach als Rassismus, benennt.

Was ich AfD’ern und ihren Wählern nämlich durchaus pauschal vorwerfe ist, dass sie rassistische Erklärungsmuster aufnehmen, wenn sie ihnen angeboten werden oder solche sogar aktiv bedienen. Und ich bin auch der Ansicht, dass viele von ihnen in Schmuddelecken wie der YouTube Kommentarspalte Dinge rauslassen, die sie wirklich vertreten, aber im “richtigen” Leben nie zu sagen wagen würden. Das Problem könnte also größer sein, als man denkt.

Ich rechne der AfD das als großen Verdienst an, diesen gesellschaftlichen Bodensatz sichtbar und messbar zu machen.

Und das ist jetzt noch nicht einmal ironisch gemeint.

Deswegen nenne ich die nicht “Nazis”. Punkt.

Aber “die Medien”!

Konkret wurde hier behauptet:

Ach so!
Jetzt auf einmal muss man differenzieren?
Warum habt denn ausgerechnet Ihr, die Medien -Fuzzys die AfD und deren Anhänger als “Nazis” betitelt ???
Heuchler!

Naja, normalerweise ist es schon Sache desjenigen, der etwas behauptet, seine Behauptung auch zu belegen. Aber da er es ja durchaus nicht machen mochte, und da das betreffende Video mit einem von der ARD war, habe ich die Suchmaschine meiner Wahl mit site:ard.de +afd +nazi losgeschickt.

Ich fand interessante und differenzierte Ausarbeitungen zu konkreten Kontakten von AfD’ern mit wirklichen Nazis, Kritik von AfD’ern an “Nazi-Terminologie” in ihrer eigenen Partei und sehr traurige, aber detailliert nachgewiesene Parallelen zwischen Wortgebrauch und längeren Ausführungen von AfD-Spitzen und Führungspersonal aus dem letzten Jahrhundert.

Die Recherche empfand ich als sehr interessant und bildend, ihr Ziel konnte sie allerdings nicht erreichen: Ich fand keine pauschalierende Etikettierung der AfD als “Nazis”.

Daher habe ich meine Suche auf “Faschismus” und “Faschisten” statt “Nazi” ausgedehnt. Hier gibt es insgesamt nur 12 Treffer, die alle ebenfalls keinerlei pauschale Attributierung vornahmen.

Myth busted. Wieder einmal.

Nachtrag

Fühlt euch nicht zu sicher. Es könnte sein, dass jemand wirklich mal die kennzeichnenden Eigenschaften von Nationalsozialismus her nimmt und Handlungen und Äußerungen von AfD’ern daneben legt. Bisher war mir das zu mühsam…


Den Migrationspakt lesen

Machen Sie sich etwa keine Sorgen bzgl. des Migrationspaktes?

Bezüglich des Inhalts: Nein.

Zuvörderst liegt das wohl daran, dass ich den Text des endgültigen Entwurfes gelesen habe. Die diffusen Vorwürfe, die von verschiedenen Seiten dagegen ins Feld geführt werden, konnte ich am Text nicht nachvollziehen. Um ehrlich zu sein: alles was da steht, sollte entweder aus einem Minimalkonsens zum zivilisierten Umgang miteinander heraus ohnehin selbstverständlich sein, oder sind völlig banale, sinnvolle Maßnahmen beim Umgang mit dem Phänomen.

Bezüglich der Verbindlichkeit: Ja.

Wenn man bedenkt, dass es erheblich verbindlichere Übereinkünfte gibt, nehmen wir als Beispiel die Menschenrechts-Charta, und wie diese weltweit mit Füßen getreten werden, dann besteht zumindest die begründete Befürchtung, dass der sog. „Migrationspakt“ das Papier nicht wert ist, auf dem er steht. Und das wäre schade.

Kennen Sie den Inhalt?

Ich kenne ihn nicht nur, sondern ich habe ihn auch verstanden. Und daher befürchte ich, dass den meisten „Kritikern“ einige wichtige Punkte nicht völlig präsent sind:

Um was geht’s im “Pakt”?

Das Allermeiste, was da steht, ist in oder zwischen halbwegs zivilisierten Ländern ohnehin geltende Rechtslage. Neu ist ein gewisses Bekenntnis zu Investitionen vor Ort (18 b, d-f). Die in der Überschrift („Ziel 2“) gewählte Formulierung ist so durchdacht, sachkundig und voller Empathie, dass ich sie hier wiedergeben möchte:

Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen.

Allein über dieses Satzfragment könnte man einen ganzen Artikel schreiben. Es ist übrigens eine traurige Bestätigung für meine oben geäußerten Bedenken zur Verbindlichkeit, dass die erste Maßnahme dazu ein lasst-uns-doch-mal-machen-was-wir-schon-vereinbart-hatten ist (18 a).

In weniger zivilisierten Ländern scheinen mir noch weit grundlegendere Standards, als in diesem Dokument gefordert, nicht erfüllt zu sein. Wenn man am einen eritreischen Christen, einen bürgerkiegsgebeutelten Jemeniter oder einen homosexuellen Nigerianer denkt, muten Punkte wie 30 (konsularischer Schutz) unfreiwillig komisch an. Und ob die betreffenden Länder die Standards umsetzen könne, oder überhaupt wollen, steht in den Sternen, aber nicht im „Pakt“. Aber gerade durch Punkte wie 30 wird auch klar:

Um wen geht’s im “Pakt”?

Der „Pakt“, (oder besser: die Absichtserklärung) formuliert ein Regelwerk zum Umgang mit Migration weltweit.

Er betrachtet gleichermaßen:

  • den indischen Sklavenarbeiter in Abu Dhabi
  • die iranische Frau, die in der Türkei oder im Libanon zu unterbezahlter Arbeit (oder gleich zu sexuellen „Dienstleistungen“) erpresst wird, um sich bis zur Weiterreise ernähren zu können
  • den deutschen Auswanderer, dem in einem italienischen Ferienort eine Lizenz für eine weitere Surfschule verwehrt wird, da er Einheimischen Konkurrenz machen würde
  • den eritreischen Flüchtling, der im Sudan willkürlich von der Polizei inhaftiert wird, um Lösegeld von seiner Familie zu erpressen (ja, dafür gibt es „Tarife“)
  • das mexikanische Hausmädchen in Texas, das ohne Aufenthaltserlaubnis ihrem „Arbeitgeber“ wehrlos ausgeliefert ist
  • Rohingya in Bangladesh

Diese Beispiele sollen die Spannweite des Paktes verdeutlichen und sollten nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich die angesprochenen Fälle auf eine Stufe stelle. Aber es ist wohl ohnehin müßig, diese Beispiele hier aufzuzählen, wenn der eurozentrierte Wohlstands-AfD’er bei „Migration“ nur an „Soros-gesteuerte Umvolkung“ denkt.

Der “Pakt” aus Sicht der AfD

Eine ganze Reihe von Punkten aus dem Entwurf bedienen übrigens sogar Forderungen der AfD (z.B. 17 a,g-j; 19 d,e; 20; 21; 25; 26 a-d,g; 27 a-d,f,g; 28 a,d,e; 37). Einige der nicht aufgezählten beziehen sich ganz offensichtlich nicht auf eine Migration aus „Afrika“ oder islamischen Ländern nach Deutschland (z.B. 30, 35). Der Rest fordert Anstand im Umgang mit Migranten und (erfreulicherweise oft hervorgehoben) Migrantinnen (z.B. 22-24; 29; 31-33), wie er sich eigentlich schon aus den Menschenrechten ergibt.

Bei 21 würde der Durchschnitts-AfD’er zwar andere Formulierungen wählen, aber der Text ist durchaus auch mit einem australischen,* kanadischen oder US-amerikanischen Einwanderungsrecht verträglich (was ich persönlich schlimm finde).

… die Demonstranten … haben doch einen guten Grund auf die Straße zu gehen.

Nach dem oben dargelegten kann sich der Protest der AfD’er eigentlich nur gegen Punkt 33 („Ziel 17: Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration“) richten. Nein, im Ernst:

Wogegen richtet sich der Protest?

Ich höre meist nur „Stoppt den Pakt“. Die Frage, welche Punkte denn überhaupt kritisiert werden, muss ich zurück geben. Die Polemiken über „Souveränitätsverlust“ und „Ermutigung“ aus Österreich, Polen, Ungarn und den USA entbehren bei Lektüre des Text jeder Grundlage, genauso das gebetsmühlenhaft wiederholte AfD-Mantra der „Umvolkung“. Spezialexperte Orban widerspricht sich sogar selbst wenn er den Pakt ablehnt, weil man Fluchtursachen bekänpfen sollte, was aber das erste inhaltliche Ziel des Paktes ist (18). Ich weiss also wirklich nicht, wogegen konkret sich die Proteste richten.

Update: Ich habe ein Video gefunden, in dem Corinna Miazga, MdB (AfD) den Migrationspakt detailliert bespricht. Das werde ich separat zerlegen.


*) Bootsflüchtlinge auf einer abgelegenen Insel zu internieren, würde (29 a-h) widersprechen


Die Rede von Martin Schulz auf dem #spdbpt

Martin Schulz ging aufs Podium und entfaltete vor dem Parteitag seine Vision für Deutschland und Europa. Hier der Text seiner Rede:

Genossinnen und Genossen,

ich stehe heute hier vor euch als einer, der etwas verändern will. Einer, dem „soziale Gerechtigkeit“ kein Schlagwort ist, sondern ein lebendiger Auftrag, jedem und jeder hier ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Ich will, dass niemand mehr Neid und Angst schüren kann, weil Menschen sich in dem bescheidenen Wohlstand bedroht sehen, den sie sich erarbeitet haben – oder in ihrem Auskommen, weil noch Bedürftigere vermeintlich bessere Leistungen erhalten als sie selbst. Und weil das nur geht, wenn alle mitmachen, will ich mit euch für ein Deutschland und für ein Europa kämpfen, in dem Unternehmen ihre Steuern zahlen. Ein Deutschland und ein Europa, in dem Mittel bei den Menschen ankommen, die sie am meisten brauchen – und nicht verwendet werden, um auf Kosten der Allgemeinheit die Risiken vermeintlich „systemwichtigen“ Zockerbanken abzusichern.

Natürlich werden wir weiter Banken „retten“ – aber wir werden das nur mit Mitteln tun, die auch Kapitalbeteiligung aufbauen. Irrsinnige „Finanzinstrumente“ werden wir regulieren und dafür sorgen, dass alle Finanztransaktionen, die nicht die nachhaltige Beteiligung am Unternehmenserfolg zum Ziel haben wie alle anderen Umsätze besteuert werden. Wir werden Steueroasen ausdörren und Umsätze dort besteuern, wo sie gemacht werden. Mit den Mehreinnahmen werden wir den Sozialabbau stoppen und endlich wieder in Bildung investieren. Bildung, die die Menschen immun macht gegen rechte Agitatoren, und die ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Leben zu gestalten.

Ich will den Europäischen Traum – weil wir es können.

Ich will ein Deutschland und ein Europa, in dem alle Menschen so leben –und zusammen leben– können, wie sie das möchten. Ein Deutschland und ein Europa, in dem die Menschen einander achten, und ohne Angst einander achten können, in dem die Stärkeren den Schwächeren nicht deswegen helfen, weil sie es müssen, sondern weil sie es können.

Wir standen in den letzten Jahren großen Herausforderungen gegenüber. Aber herrscht nicht in Syrien seit langen Jahren Krieg? Dehnt sich nicht der Terror in Afrika seit Jahren aus? Überrascht es uns, dass jetzt Menschen hierher kommen, weil sie hoffen, das sie hier besser leben können? Auf jeden Fall waren wir unvorbereitet – und so konnten Kräfte, deren Wiedererstarken wir uns alle nicht wünschen, die Not der Menschen zu einer „Flüchtlingskrise“ hochstilisieren. Seit Jahren hätten wir vor Ort helfen müssen, Ausbeutung verhindern, lokale Strukturen stärken, das ganze Programm. All das werden wir jetzt nachholen.

Ich will ein Deutschland und ein Europa, das Verantwortung in der Welt übernimmt, und sich nicht kurzfristigem Profitstreben einiger weniger, weltweit agiernder Unternehmen unterwirft. Ein Deutschland und ein Europa, das aus einer Position der Stärke heraus den Schwachen hilft, und seine Stärke nicht ausnutzt, ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen, sie noch weiter auszupressen.

Wir werden die Rüstungsexporte einbremsen und Lieferungen in Krisengebiete –auch über Umwege– nachhaltig verhindern. Wir werden Waren, die nur deswegen im Ausland so billig produziert werden können, weil dort alle Regeln des Umwelt- und Arbeitsschutzes mit Füßen getreten werden, mit Zöllen belegen, die direkt der Entwicklung der betroffenen Länder zugute kommen, dem Schutz der Umwelt und den Rechten der Arbeiter und Arbeiterinnen. Wenn wir dazu internationale Abkommen neu verhandeln müssen, dann werden wir das tun. Handelsabkommen mit afrikanischen Ländern werden wir so gestalten, dass sie die Kleinbauern in diesen Ländern schützen – und ihnen nicht die Lebensgrundlagen entziehen. Ja, wir werden uns einschränken müssen, weil wir unseren Wohlstand nicht langfristig auf den Schultern der Ärmsten aufbauen können. Und wir werden es tun, weil wir das auch gar nicht wollen!

Ich will ein Deutschland und ein Europa, in dem alle Bürgerinnen und Bürger das berechtigte Gefühl haben können, dass wir, ihre gewählte Regierung, ihre Interessen vertritt, dass das was passiert, ihn ihrem Interesse passiert, und das sie auch nachvollziehen können, was da passiert.

Wir werden die demokratischen Strukturen der Europäischen Union stärken, wie ich das mit Erfolg schon als Präsident des Europäischen Parlaments getan habe, und wir werden die undemokratischen Strukturen –den Europäischen Rat, die Verhandlungsmandate für Freihandelsabkommen und vieles mehr– reparieren, so gut wir das können.

Unser Grundgesetz betrachten wir als hohes Gut. Wer es unternimmt, Grundrechte auszuhöhlen oder zu beschneiden, wird in uns einen hartnäckigen Gegner finden. Wer sie ausbauen will und im Rahmen des gesellschaftlichen und technischen Fortschritts weiter entwickeln, der wird in uns –in jedem Einzelnen und in jeder Einzelnen– tatkräftige Unterstützer finden.

Viele da draußen –und sicher auch viele hier drin– haben sich gefragt: Warum hat die SPD in den letzten Wochen mit für den größten Grundrechte-Abbau der Geschichte der Bundesrepublik gestimmt, das Netzdurchsetzungsgesetz, den Staatstrojaner und die Aussagepflicht bei der Polizei eingeführt? Genossinnen und Genossen, ich muss euch sagen: Ich weiß es nicht. Und ich muss euch auch sagen: Ich will, dass so etwas nie wieder passiert. Ich will, dass wir den Wählerinnen und Wählern gegenüber treten können und sagen: Wenn ihr wollt, dass das alles wieder ins Lot kommt, dann müsst ihr am 24. September SPD wählen.

Ich habe euch gesagt, was ich will. Und ich sage euch: All das werden wir niemals umsetzen können, wenn wir uns wieder in eine Große Koalition einsperren lassen, mit Parteien, deren Gesellschaftsentwurf dem unseren radikal entgegen gesetzt ist. Mit Parteien, die „Christlich“ im Namen tragen und für die es Barmherzigkeit nur für Steuerbetrüger und Abgasfrisierer gibt. Wir dürfen das nicht noch einmal machen. Und wir dürfen solchen Parteien schon gar nicht die alleinige Macht im Staat überlassen. Und deswegen muss die SPD die stärkste Fraktion im nächsten Bundestag werden und deswegen will ich im September der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.

Und dann bin ich aufgewacht.


*) Diesen Beitrag hatte ich vorher schon bei einem guten Freund veröffentlicht.


Klima-Aussteiger

Weil die „Achse des Guten“ in ihrer Kommentarspalte ja üblicherweise sehr auf Linientreue achtet, vorsichtshalber lieber auch hier:

Tröstlich zu wissen, dass nach dem Beschluss zum Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen keine allgemeine „Schnappatmung“ eingesetzt hat. Stattdessen hat –auch aufgrund der besonnenen Reaktion der deutschen Umweltministerin– die nüchterne Erkenntnis Raum gegriffen, dass dieser Ausstieg eine reine Marketing-Maßname war, adressiert an Trumps Flyover-State-Wähler. Bevor irgendeine erkennbare Wirkung eintreten könnte, ist Trump Geschichte.

Einziger –und positiver– Effekt der ganzen Sache: Die –ohnehin schon arg angekratzte– Führungsrolle der US-Technologie wird wirkungsvoll gebremst, weil –ganz unabhängig vom Abkommen– den „oppositionellen“ Forschungsinstituten –also eigentlich allen– der Geldhahn zugedreht wird. Die Chinesen lachen sich eins und die europäische Forschung wird einen Boost erleben. Schade nur, dass nicht Frau Hendricks auf die Idee gekommen ist, amerikanische Forscher einzuladen, sondern Herr Macron.

Und so reiht sich die Entscheidung ein in die lange Reihe der Entscheidungen, die die Emanzipation der anderen Staaten vom Kulturimperialismus der Vereinigen Staaten fördern und zur Gesundung der Weltordnung beitragen.

Man muss also sagen:

Das war gut so Herr Trump!


Mit dem Rohrstock?

Ein paar Worte zum Bildungsprogramm der AfD:

Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein

schreiben die Alternativen (8.2.4) und doch soll ihre Indoktrination genau dort ansetzen: Das Klassenzimmer soll der Ort der Vermittlung ihrer Werte werden. Und so wollen sie wie selbstverständlich in die Lehrpläne eingreifen, wollen das bisschen zurückdrehen, was bei der Kakophonie der Länderkultusministerien überhaupt herausgekommen ist:

Eine Weiterentwicklung des Familienbildes, ein offener Blick auf alternative sexuelle Identitäten, Religionsunterricht ihnen missliebiger Religionsgemeinschaften – all das ist verboten. Abgelehnt aus einer Ideologie heraus, die sich auf ein diffuses „Naturrecht“ bezieht, das wohl hauptsächlich „so wie damals, als wir jung waren“ bedeutet.

Und wenn die Kleinen nicht zurück in die Achtziger wollen? Nun, dann sollen

den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen

sie zu disziplinieren (8.2.3). Wollen sie ihre rückwärts gerichteten Sichtweisen dann in die Kinder reinprügeln? Vermutlich, denn öffentliche Diskussion oder rechtsstaatliche Prinzipien sollen für diese neuen-alten „Maßnahmen“ offenbar außer Kraft gesetzt werden, damit

deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird.

Ja, das steht wirklich so da. Und es ist ihnen wichtig, denn Disziplin ist

Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensvermittlung

Und nur Wissen ist es, was in die Kinder hinein gefüllt werden soll. Wie damals, als Enzykolopädien noch einen Zentner wogen und das Wissen sich so langsam vermehrte, dass man wagen konnte, es auf tote Bäume zu drucken. Kompetenzen zu erwerben, das ist für Schülerinnen und Schüler nur von nachrangiger Bedeutung oder, im alternativen Sprech

untergeordnet

„Denk selbst“ soll wohl der (richtigen) Partei und den Rednern auf den Pegida-Veranstaltungen vorbehalten bleiben.

Und die Sorben und Friesen sollen endlich mal richtig Deutsch lernen. Steht da. Echtjetzt. Denn sie wären wohl die einzigen, die von einer grundgesetzlichen Verankerung der deutschen Sprache (7.3) wirklich betroffen wären.

Ja, natürlich zeigt es das Bildungsproblem in Deutschland auf, wenn die das da so rein schreiben. Aber sollte man dann gerade auf solche Leute hören, wenn es um Bildung geht?

Mein nächster Beitrag sollte eigentlich ein Plädoyer dafür ist, nicht so viel über die Bleu-Alternativen zu schreiben. Wenn allerdings Leute behaupten, diese Rückwärtspartei hätte ein „gutes Programm“, dann kann man einfach nicht ruhig sein.

Ein gutes Programm würde nämlich ganz anders aussehen. Es wäre ein zukunftsweisender Gegenentwurf, der sich den Herausforderungen der Zeit genauso stellt, wie den neuen Chancen. Ein Entwurf, der die Kinder nicht diszipliniert, sondern sie dabei unterstützt, sich zu medienkritischen, wahrhaftig selbst denkenden jungen Leuten zu entwickeln.

Die Wertevermittlung würde bei den Grundlagen unseres Staatswesens ansetzen: Beim Grundgesetz und bei der Geschichte, die dazu geführt hat, das dieses wahrhaft wegweisende Dokument entstehen konnte, entstehen musste. Und bei der Aufweichung, der Rückentwicklung, die dieses Grundgesetz im Laufe der Jahre erleiden musste – ein Opfer der Tagespolitik, zuerst bei den Notstandsgesetzen, dann beim großen Lauschangriff und zuletzt beim Recht auf politisches Asyl.

In einem solchen Umfeld wäre ein offener Umgang mit alternativen Formen des Zusammenlebens und auch mit Sexualität selbstverständlich. Der Gefahr, dass der erste Kontakt mit Sexualität für Kinder unter Anleitung eines mit bigotten, pädophilen Priesters zustande kommt, würde damit nachhaltig ausgeräumt.

„Religionsunterricht“ würde durch „Vergleichende Religionskunde“ ersetzt, die Geschichte und Wertegrundlagen aller bedeutenden Religionen objektiv und unideologisch beleuchtet. Als Bewertungsmaßstab würde auch hier ausschließlich das Grundgesetz herangezogen. Bei der Beschäftigung mit diesem komplexen Gebiet würden die jungen Leute mit dem Konzept der Rechtsgüterabwägung vertraut gemacht. So vorbereitete junge Menschen wären immun gegen Indoktrination sektiererischer Parallelgesellschaften und würden umgekehrt die grundgesetzlichen Werte in diese hineintragen und sie so von innen aushöhlen. Und wer jetzt nur an islamische Parallelgesellschaften denkt, der möge bitte seinen Denkraum auf Homeschooler, evangelikale Sekten und „national befreite Zonen“ ausdehnen.

Der bloße Erwerb von Wissen träte in den Hintergrund vor der Entwicklung von Kreativität und dem Erwerb vor allem der Kompetenz, sich bei Bedarf neues Wissen anzueignen. Medienkritik würde einen Schwerpunkt bilden, um die Menschen geichermaßen immun zu machen gegen Manipulation und die Scheinwahrheiten und Verzerrungen der „Nachrichten“ aus den sozialen Medien wie gegen die von Lobbyinteressen gesteuerte Themenauswahl der Medien-Großkonzerne.

Zwangsdiszipinierung, gar noch ohne Beobachtung durch die Öffentlichkeit, verlöre jeden Sinn. Ein solcher Unterricht wäre für die jungen Menschen nämlich interessant, da sie ihre Weiterentwicklung direkt erleben und nicht nur an Noten messen könnten.

Parallel zu dieser grundsätzlichen Ausrichtung des Bildungssystems an den Werten des Grundgesetzes würden Schranken abgebaut, die junge Menschen in der Bildungsschicht des Elternhauses festhalten und in dessen Denkraum gefangen halten. Konzepte wie Schulgeld und Ausbildungskredite würden auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, da Bildung als gesellschaftliches Ziel erkannt und entsprechend umgesetzt würde. Chancengleichheit würde Wirklichkeit.

Die Finanzierung des Bildungssystems wäre an die Entwicklung des Bruttosozialproduktes gekoppelt und bräche mit der Tradition der seit über vierzig Jahren zurückgehenden realen Investition in Bildung. Die nachhaltige Bekämpfung der Kinderarmut bekäme strategische Bedeutung als notwendige Grundlage eines solchen Bildungssystems.

Eine solche Neukonzeption des Bildungssystem könnte die Jugend fit machen für die Herausforderungen der Zukunft – und nicht die Wiederbelebung der Achziger. Die können wir getrost den populären Radiosendern überlassen.