Die Rede von Martin Schulz auf dem #spdbpt

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Martin Schulz ging aufs Podium und entfaltete vor dem Parteitag seine Vision für Deutschland und Europa. Hier der Text seiner Rede:

Genossinnen und Genossen,

ich stehe heute hier vor euch als einer, der etwas verändern will. Einer, dem „soziale Gerechtigkeit“ kein Schlagwort ist, sondern ein lebendiger Auftrag, jedem und jeder hier ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Ich will, dass niemand mehr Neid und Angst schüren kann, weil Menschen sich in dem bescheidenen Wohlstand bedroht sehen, den sie sich erarbeitet haben – oder in ihrem Auskommen, weil noch Bedürftigere vermeintlich bessere Leistungen erhalten als sie selbst. Und weil das nur geht, wenn alle mitmachen, will ich mit euch für ein Deutschland und für ein Europa kämpfen, in dem Unternehmen ihre Steuern zahlen. Ein Deutschland und ein Europa, in dem Mittel bei den Menschen ankommen, die sie am meisten brauchen – und nicht verwendet werden, um auf Kosten der Allgemeinheit die Risiken vermeintlich „systemwichtigen“ Zockerbanken abzusichern.

Natürlich werden wir weiter Banken „retten“ – aber wir werden das nur mit Mitteln tun, die auch Kapitalbeteiligung aufbauen. Irrsinnige „Finanzinstrumente“ werden wir regulieren und dafür sorgen, dass alle Finanztransaktionen, die nicht die nachhaltige Beteiligung am Unternehmenserfolg zum Ziel haben wie alle anderen Umsätze besteuert werden. Wir werden Steueroasen ausdörren und Umsätze dort besteuern, wo sie gemacht werden. Mit den Mehreinnahmen werden wir den Sozialabbau stoppen und endlich wieder in Bildung investieren. Bildung, die die Menschen immun macht gegen rechte Agitatoren, und die ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Leben zu gestalten.

Ich will den Europäischen Traum – weil wir es können.

Ich will ein Deutschland und ein Europa, in dem alle Menschen so leben –und zusammen leben– können, wie sie das möchten. Ein Deutschland und ein Europa, in dem die Menschen einander achten, und ohne Angst einander achten können, in dem die Stärkeren den Schwächeren nicht deswegen helfen, weil sie es müssen, sondern weil sie es können.

Wir standen in den letzten Jahren großen Herausforderungen gegenüber. Aber herrscht nicht in Syrien seit langen Jahren Krieg? Dehnt sich nicht der Terror in Afrika seit Jahren aus? Überrascht es uns, dass jetzt Menschen hierher kommen, weil sie hoffen, das sie hier besser leben können? Auf jeden Fall waren wir unvorbereitet – und so konnten Kräfte, deren Wiedererstarken wir uns alle nicht wünschen, die Not der Menschen zu einer „Flüchtlingskrise“ hochstilisieren. Seit Jahren hätten wir vor Ort helfen müssen, Ausbeutung verhindern, lokale Strukturen stärken, das ganze Programm. All das werden wir jetzt nachholen.

Ich will ein Deutschland und ein Europa, das Verantwortung in der Welt übernimmt, und sich nicht kurzfristigem Profitstreben einiger weniger, weltweit agiernder Unternehmen unterwirft. Ein Deutschland und ein Europa, das aus einer Position der Stärke heraus den Schwachen hilft, und seine Stärke nicht ausnutzt, ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen, sie noch weiter auszupressen.

Wir werden die Rüstungsexporte einbremsen und Lieferungen in Krisengebiete –auch über Umwege– nachhaltig verhindern. Wir werden Waren, die nur deswegen im Ausland so billig produziert werden können, weil dort alle Regeln des Umwelt- und Arbeitsschutzes mit Füßen getreten werden, mit Zöllen belegen, die direkt der Entwicklung der betroffenen Länder zugute kommen, dem Schutz der Umwelt und den Rechten der Arbeiter und Arbeiterinnen. Wenn wir dazu internationale Abkommen neu verhandeln müssen, dann werden wir das tun. Handelsabkommen mit afrikanischen Ländern werden wir so gestalten, dass sie die Kleinbauern in diesen Ländern schützen – und ihnen nicht die Lebensgrundlagen entziehen. Ja, wir werden uns einschränken müssen, weil wir unseren Wohlstand nicht langfristig auf den Schultern der Ärmsten aufbauen können. Und wir werden es tun, weil wir das auch gar nicht wollen!

Ich will ein Deutschland und ein Europa, in dem alle Bürgerinnen und Bürger das berechtigte Gefühl haben können, dass wir, ihre gewählte Regierung, ihre Interessen vertritt, dass das was passiert, ihn ihrem Interesse passiert, und das sie auch nachvollziehen können, was da passiert.

Wir werden die demokratischen Strukturen der Europäischen Union stärken, wie ich das mit Erfolg schon als Präsident des Europäischen Parlaments getan habe, und wir werden die undemokratischen Strukturen –den Europäischen Rat, die Verhandlungsmandate für Freihandelsabkommen und vieles mehr– reparieren, so gut wir das können.

Unser Grundgesetz betrachten wir als hohes Gut. Wer es unternimmt, Grundrechte auszuhöhlen oder zu beschneiden, wird in uns einen hartnäckigen Gegner finden. Wer sie ausbauen will und im Rahmen des gesellschaftlichen und technischen Fortschritts weiter entwickeln, der wird in uns –in jedem Einzelnen und in jeder Einzelnen– tatkräftige Unterstützer finden.

Viele da draußen –und sicher auch viele hier drin– haben sich gefragt: Warum hat die SPD in den letzten Wochen mit für den größten Grundrechte-Abbau der Geschichte der Bundesrepublik gestimmt, das Netzdurchsetzungsgesetz, den Staatstrojaner und die Aussagepflicht bei der Polizei eingeführt? Genossinnen und Genossen, ich muss euch sagen: Ich weiß es nicht. Und ich muss euch auch sagen: Ich will, dass so etwas nie wieder passiert. Ich will, dass wir den Wählerinnen und Wählern gegenüber treten können und sagen: Wenn ihr wollt, dass das alles wieder ins Lot kommt, dann müsst ihr am 24. September SPD wählen.

Ich habe euch gesagt, was ich will. Und ich sage euch: All das werden wir niemals umsetzen können, wenn wir uns wieder in eine Große Koalition einsperren lassen, mit Parteien, deren Gesellschaftsentwurf dem unseren radikal entgegen gesetzt ist. Mit Parteien, die „Christlich“ im Namen tragen und für die es Barmherzigkeit nur für Steuerbetrüger und Abgasfrisierer gibt. Wir dürfen das nicht noch einmal machen. Und wir dürfen solchen Parteien schon gar nicht die alleinige Macht im Staat überlassen. Und deswegen muss die SPD die stärkste Fraktion im nächsten Bundestag werden und deswegen will ich im September der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.

Und dann bin ich aufgewacht.


*) Diesen Beitrag hatte ich vorher schon bei einem guten Freund veröffentlicht.