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Österreich und der Migrationspakt

Österreich hat den Migrationspakt bekanntlich abgelehnt.

In der Erklärung der Regierung hiess es, die Republik entscheide souverän über die Zulassung von Zuwanderung und kenne kein «Menschenrecht auf Migration». Die Schaffung der völkerrechtlichen Kategorie des «Migranten» sei zudem zurückzuweisen. – Quelle: NZZ

(Über die betreute Meinungsbildung in Österreich kann man in dieser Fundsache spannendes Nachlesen. Für hier führt das aber zu weit und bleibt daher in Klammern.)

Und da sind sie wieder, die wohlbekannten Lügen.

Lüge 1: Souveränitätsverlust

So oft gesagt, so oft widerlegt. Wer Ohren hat zum hören, der höre, und wer Augen hat zum sehen, der sehe:

15. Wir sind uns darin einig, dass dieser Globale Pakt auf einer Reihe übergreifender und interdependenter Leitprinzipien beruht:
   a. Der Mensch im Mittelpunkt: …
   b. Internationale Zusammenarbeit: …
   c. Nationale Souveränität: Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln. Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden, einschließlich bei der Festlegung ihrer gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen zur Umsetzung des Globalen Paktes, unter Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Realitäten, Politiken, Prioritäten und Bestimmungen für Einreise, Aufenthalt und Arbeit und im Einklang mit dem Völkerrecht;
   d. rechtsstaatlichkeit und ordnungsgemäße Verfahren: …

– Global Compact for Migration A/CONF.231/3 (dt.), Seite 4

Hier ist es noch nicht einmal mehr erforderlich, irgendetwas zu erklären. Die Plattheit der Lüge leuchtet im Wortlaut aus dem Text heraus. Dass sie routinemäßig wiederholt wird, verwundert, dass sie geglaubt wird, lässt den Leser fassungslos zurück. Angesichts dieser Klarheit muss jeder, der den Text gelesen hat und die Lüge weiter verbreitet, als funktionaler Analphabet eingestuft werden.

Leider ist ein Nachweis nur selten so einfach zu führen.

Lüge 2: Menschenrecht auf Migration

Vor allem ist schwer, etwas nachzuweisen, was nicht da ist. Aber wir können die Sicht des “Pakts” auf Migration und Menschenrechte umreissen:

Der Pakt und die Menschenrechte

Eigentlich ist mit Punkt 2

[Der Pakt] beruht außerdem auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

genug gesagt. Aber es lohnt sich, die einzelnen Abschnitte durchzusehen. Tatsächlich lesen sich weite Teile das Textes wie eine ausführliche Paraphrasierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in ihrer speziellen Ausprägung für Migranten. Um die Darstellung leichter lesbar zu machen, habe ich die entsprechende Tabelle als Anhang beigefügt.

Haltung zur Migration

Ähnlich wie das Grundgesetz in Art. 1 die Unantastbarkeit der Würde des Menschen nicht etwa als Recht setzt, sozusagen einfordert, sondern feststellt, formuliert auch der Pakt kein Recht auf Migration, sondern stellt schlicht fest, dass es sie gibt.

Im Punkt 8 heißt es

Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.

Der hervorgehobene Teil ist oft das Ziel ätzender Kritik aus Kreisen der Ablehner. In der Folge wird der Pakt dann auch ausschließlich unter dem Aspekt “Migration aus Afrika nach Deutschland” besprochen. Dies offenbart den engstirnigen Eurozentrismus der Ablehner.

Denn selbstverständlich umfasst der Pakt nicht nur diese –das Denken der Ablehner ganz offensichtlich beherrschende– Ausprägung von Migration, sondern alle Menschen auf der Welt, die ihr Land aus was auch immer für Gründen verlassen. Ich hatte beim ersten Durchlesen schon die folgenden Beispiele angeführt:

  • den indischen Sklavenarbeiter in Abu Dhabi
  • die iranische Frau, die in der Türkei oder im Libanon zu unterbezahlter Arbeit (oder gleich zu sexuellen „Dienstleistungen“) erpresst wird, um sich bis zur Weiterreise ernähren zu können
  • den deutschen Auswanderer, dem in einem italienischen Ferienort eine Lizenz für eine weitere Surfschule verwehrt wird, da er Einheimischen Konkurrenz machen würde
  • den eritreischen Flüchtling, der im Sudan willkürlich von der Polizei inhaftiert wird, um Lösegeld von seiner Familie zu erpressen (ja, dafür gibt es „Tarife“)
  • das mexikanische Hausmädchen in Texas, das ohne Aufenthaltserlaubnis ihrem „Arbeitgeber“ wehrlos ausgeliefert ist

Sieht man also einmal vom eigenen Lieblingsthema ab, dann wird klar, dass Migration oft ganz gewaltig etwas mit dem Wohlstand in den Zielländern zu tun hat. Und oft auf wenig ehrenhafte Weise.

Und noch ne Lüge

Punkt 8 bemerkt übrigens weiter:

Die meisten Migranten auf der Welt reisen, leben und arbeiten heute auf sichere, geordnete und reguläre Weise. Dennoch hat Migration unbestreitbar sehr unterschiedliche und manchmal unvorhersehbare Auswirkungen auf unsere Länder und Gemeinschaften und auf die Migranten und ihre Familien selbst.

und entkräftet damit die gern genommene AfD-Lüge dass sich der Pakt Migration ausschließlich positiv darstelle und nur Rechte für die Migranten formuliere. Aber das im Detail zu debunken, braucht einen eigenen Artikel. Zumal es nicht wirklich was mit Österreich zu tun hat.

Und was bedeutet die Ablehnung jetzt für Österreich?

Für Österreich (und Deutschland) gilt praktisch alles, was im Migrationspakt an Rechten für Migranten gefordert wird, aufgrund geltender Rechtslage sowieso. Die Leistungen aus der Umsetzung des Paktes müssen von den ärmeren Ländern des Südens erbracht werden, und wer dabei hilft, hilft sich selbst.

Österreich hat jetzt erst mal demonstrativ den “Weidel Stampf” gemacht und gesagt: WIR helfen euch dabei nicht.

Warum? Das erschließt sich mir nicht wirklich. Wahrscheinlich aus ähnlich kurzsichtigen Motiven wie die AfD: Machterhalt. Wenn die Bevölkerung versteht, welche gigantische Umwälzung da losgetreten wurde, haben sie mit ihrer stumpfen Lügen –mit denen sie ja sowieso nur die 15% erreichen konnten, die gerade nicht “selbst denken”– überhaupt keine Chancen mehr. Wie in Deutschland erleben wir möglicherweise auch in Österreich das letzte Aufbäumen der Rechtspopulisten.

Viel wichtiger als diese Ewiggestrigen ist jetzt, wieviel Geld tatsächlich in den Aufbau von Infrastruktur und Bildung in den Ländern investiert wird, aus denen die Menschen bisher weg wollten (18b-e). “Der Westen” hat sich lange genug an deren Menschen und Bodenschätzen fett gefressen – jetzt kann er anfangen, das wieder gut zu machen.

Und, Hand aufs Herz, was wäre bei so einem gigantischen Vorhaben “Aufbau Süd” von Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien auch großartiges zu erwarten? Vielleicht sollte sich Österreich tatsächlich erst mal darum kümmern, die rechtsradikalen Mini-Volkswirtschaften in seiner Nachbarschaft auf mitteleuropäisches Niveau zu bringen, damit sie “uns” nicht so arg auf der Tasche liegen.

Nur dieser kindische “Weidel Stampf” hätte halt nicht sein müssen.

Anhang: GCM vs. AEMR

GCM Titel AEMR
19 Bereitstellung korrekter und zeitnaher Informationen in allen Phasen der Migration 6 (GCM 19d)
20 Sicherstellung dessen, dass alle Migranten über den Nachweis einer rechtlichen Identität und ausreichende Dokumente verfügen 6,15
22 Förderung einer fairen und ethisch vertretbaren Rekrutierung von Arbeitskräften und Gewährleistung der Bedingungen für eine menschenwürdige Arbeit 23,24,25
23 Bewältigung und Minderung prekärer Situationen im Rahmen von Migration 22
24 Rettung von Menschenleben und Festlegung koordinierter internationaler Maßnahmen betreffend vermisste Migranten 3 (Recht auf Leben)
26 Prävention, Bekämpfung und Beseitigung von Menschenhandel im Kontext der internationalen Migration 4
28 Stärkung der Rechtssicherheit und Planbarkeit bei Migrationsverfahren zur Gewährleistung einer angemessenen Prüfung, Bewertung und Weiterverweisung 6
29 Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel und Bemühung um Alternativen 5,6,7,8,9
31 Gewährleistung des Zugangs von Migranten zu Grundleistungen 22, 25(1)
32 Befähigung von Migranten und Gesellschaften zur Verwirklichung der vollständigen Inklusion und des sozialen Zusammenhalts 27,28
33 Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration 2

Geheimsache Marrakesch?

Bezug: Beatrix von Storch zum “Untersuchungsausschuss Merkel”! - AfD-Fraktion in Euskirchen und zwar speziell der dritte Teil zum “Global Compact for Migration”.

Der Global Compact for Migration sollte gar nicht an das Licht der Öffentlichkeit kommen, ist es nun aber doch, und zwar nur und ausschließlich dank der AfD im Bundestag.

So von Storch.

Lügen im Doppelpack

Das Märchen erzählt auch Herr Gauland, allerdings gleich im Doppelpack mit einer anderen Lüge, die ich daher gerade kurz zwischenschieben will.

Nach allem, was wir von offizieller Seite über den Global Compact for Migration zu hören bzw. nicht zu hören bekamen, können wir davon ausgehen, dass es sich um einen völlig belanglosen Vertrag handelt, der außerdem für die Unterzeichner absolut unverbindlich ist. A. Gauland, 8.11.2018

Lüge. Bereits in der Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vom 19.4.2018 wird erläutert:

Die Bundesregierung strebt ein politisch, nicht jedoch rechtlich verbindliches Abkommen an.

Zurück zum Thema.

Das verabredete Märchen

Gauland weiter:

Nur eine Willenserklärung, kaum der Rede wert, deswegen war es auch nicht nötig, die Öffentlichkeit im Vorfeld zu informieren. Bei einer Podiumsdiskussion in Dresden Ende Oktober wurden die Chefredakteure von ARD und ZDF auf diesen Pakt angesprochen und wussten beide von nichts.

Er bezieht sich anscheinend auf diese Podiumsdiskussion. Die AfD und ihr Umfeld hatten zu diesem Zeitpunkt gerade eine breite Offensive begonnen, und einem unglaublichen Wust an Verdrehungen, platten Lügen und Hochspielungen zum Global Compact for Migration in die Welt gesetzt. Mag sein, dass die ÖR den Braten am 25.10. noch nicht gerochen hatten. Zum Global Compact hingegen hatte AfD selbst ja schon im April eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt.

Dass die AfD’er jetzt so tut, als sei das alles völlig neu und nur ihr zu verdanken, dass da gerade jetzt etwas ganz Schlimmes aufgedeckt wurde, entbehrt also jeder Grundlage.

Denselben Mist predigen auch Dutzende andere AfD’er landauf, landab, in den verschiedensten Variationen. Vermutlich in der Hoffnung, dass das von ihnen erzogene Publikum auf ihre Propheten hört, ohne das mit dem “denk selbst” zu machen. Und, wie es aussieht, geht ihr Plan bald auf.

Die Rolle der Medien

Andreas Lombard (angeblich “Moderator”) merkt in Dresden übrigens an:

Kurze Nachfrage: der Compact For Migration schlägt hohe Wellen, versetzt viele Leute in Unruhe, und so weit ich sehe, ist auf der Internet Seite von ARD und ZDF bislang nur darüber berichtet worden, dass einzelne Länder nicht daran teilnehmen. Mehr nicht. Wäre es nicht doch sinnvoll gewesen, oder ist es nicht ein Beispiel für das Problem, das wir diskutieren, dass darüber bislang nichts gekommen ist, wenn es denn schon so hohe Wellen schlägt.

Wie ein trotziges Kind, das aufstapft und die Welt anschreit: “Jetzt brechen wir schon so ne Riesen-Welle Zaun und ihr ignoriiiiiert uns.”

Frey reagiert dann auch gefasst:

Das sieht so aus, als ob Sie das sehr beschäftigen würde. … Also vielleicht diese Gruppe besonders

und stellt mein Vertrauen in die ÖR Medien damit wieder her.

Mit Schlagobers

Also hat sich bereits die erste inhaltliche Aussage von v. Storch in Euskirchen als Lüge erwiesen. Dabei hätte sie z.B. sagen können: Wir haben das Thema schon im April auf die Tagesordnung gesetzt. Das hätte wenigstens formal gestimmt, nämlich im Bezug auf die Tagesordnung des Bundestages. Hat sie aber nicht. Die Mär von der Geheimaktion war wohl “spannender”.

Und jetzt das versprochene Sahnehäubchen: Wie alle Bundestagsabgeordneten waren übrigens auch die AfD’er eingeladen, sich an der Gestaltung des Vertrages zu beteiligen, wie Lars Castelucci bemerkt. Hingegangen ist von der AfD da aber niemand.

nachgetragen

Viel Text für so eine kleine und durchsichtige Lüge? Sicher. Eigentlich war dieser Text als ausführliche Obduktion der auch sonst von Lügen durchsetzten Rede von v. Storch geplant. Aber dann fiel mir etwas anderes auf und daher ist der obige Text eher eine vergnügliche Resteverwertung. Nachtisch am Freitag halt. Trotzdem wollte ich ihn euch nicht vorenthalten. Außerdem gibt’s jetzt ne neue Kategorie “Lüge”, in der ich die ganzen Fundstücke sammeln kann. Vielleicht keine schlechte Idee…


Was ist (für mich) Rassismus?

Wie für viele Begriffe aus politisch wichtigen Themenfeldern gibt es für “Rassismus” viele mögliche Definitionen. Die Auswahl der Definition ist oft nicht minder politisch, als die Anwendung selbst. Das macht die Sache in zweierlei Hinsicht schwierig: Zunächst einmal muss man immer im Auge behalten, was der andere vielleicht gerade meinen könnte, um ihn in einem vielleicht gerade hitzigen Diskussionsverlauf nicht auch noch falsch zu verstehen. Andererseits muss man sich auch selbst überlegen, was man durch den Begriff zum Ausdruck bringen möchte und dann über den gesamten Verlauf der eigenen Ausführungen zu dieser Definition stehen. Deswegen drehe ich die Frage, vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnlich, zunächst mal um: Was soll er denn bedeuten?

Aspekte

Zunächst einmal soll der Begriff zum Ausdruck bringen, dass jemand abgelehnt wird, weil er grundsätzlich anders ist und nicht, weil er sich im konkreten Fall anders verhält. Die Ablehnung erfolgt auf unpersönlichen Klassifikationsmerkmalen, und nicht auf konkreten Meinungen oder Handlungen einer Person. Wir erleben also eine Pauschalisierung, indem (oft eingebildete) Gruppeneigenschaften auf alle Individuen der Gruppe heruntergebrochen werden, eine Abgrenzung des “wir” von dem “sie”, und damit eine Ausgrenzung.

Was das genau für Klassifikationsmerkmale sind, ob geographische Herkunft, Abstammung, Hautfarbe, Nasenform, Haarstruktur, kulturelle Eigenheiten, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit, Sprache, Behinderung oder sonst was herangezogen wird, ist eigentlich egal. Der Mechanismus ist immer der gleiche. Diese da sind anders als ich, anders als “wir”, und deswegen sind sie schlechter, böse, gefährlich, und überhaupt: mach das weck.

Ob eine ablehnende Ausgrenzung unbedingt erforderlich sein soll, kann man durchaus diskutieren, und ob “positive” Vorurteile jetzt wirklich so tolle Wurst sind, das sei mal dahin gestellt. Jedenfalls reagieren Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht unbedingt erfreut, wenn man ihnen, ohne sie ansonsten im Mindesten zu kennen, unterstellt, dass auch sie persönlich bestimmt “Rhythmus im Blut” hätten. Ich möchte die Ablehnung in “meinem” Rassismusbegriff trotzdem drin haben, weil zwischen dem angesprochenen, gern auch als “alltagsrassistisch” aufgefassten Verhalten und der seit einigen Jahren wieder freimütig öffentlich vorgetragenen Fremdenfeindlichkeit durchaus ein Unterschied besteht.

Klassisch gehört zum Rassismusbegriff auch gern die Idee der prinzipiellen Minderwertigkeit der jeweils “anderen”. War es früher der “Neger”, der grundsätzlich –hätte man es schon gekannt: genetisch– thumb und ungebildet war, sind es heute Leute, die “einen syrischen Grundschulabschluss haben und auf Jahrzehnte nicht in den deutschen Arbeitsmarkt einzugliedern sind”. Die Wortwahl hat sich geändert, aber das daraus abgeleitete Konzept der Minderwertigkeit nicht.

Ja, aber Rass-ismus…

Phänotypische (äußere) Merkmale heranzuziehen, wie sie historisch für die Bildung von “Menschenrassen” gewählt wurden, bieten sich bei der Auswahl von Klassifiktionsmerkmalen für Ausgrenzung durchaus an. Schließlich sind sie ja so schön offensichtlich.

Klammer auf. An dieser Stelle könnte man jetzt vertiefen, dass gerade die sichtbaren Eigenschaften durch nur einen kleinen Teil des Genoms weitergegeben werden, und vieles darauf hindeutet, dass die Variation innerhalb eines Phänotyps erheblich größer sein kann, als die zwischen verschiedenen Phänotypen, je nachdem, welchen Anteil des Genoms man getrachtet. Aber das hier ist ein politisches Blog und keins über Molekularbiologie. Deswegen reicht es mir hier auch völlig, darauf hinzuweisen, dass ernsthafte Wissenschaftler seit langer Zeit keine “Menschenrassen” mehr postulieren. Wer mehr wissen will, kann sich z.B. anhand des Abschnittes “5.3 Rassistische Ressentiments aus molekulargenetischer Perspektive” aus der weiter unten noch ausführlich zitierten Arbeit von Johannes Zuber in die Materie einarbeiten. Klammer zu.

Trotzdem will ich meinen Rassismusbegriff nicht auf die Ausgrenzung aufgrund phänotypischer Merkmale beschränken. Zum einen, weil es für Menschen aufs selbe rauskommt, ob ich sie ausgrenze, weil sie schwarz sind, oder weil sie aus Nigeria kommen. Zum anderen aus ganz pragmatischen Gründen: phänotypische Merkmale tragen der Breite des Problems einfach nicht ausreichend Rechnung. Im Sinne einer “klassischen” Rassentheorie wären z.B. Menschen aus Eritrea, Nigeria und Syrien sehr unterschiedlich. Würde man sich also auf die Phänotypen beschränken, würde für “die pauschale Ablehnung von Schutzsuchenden aufgrund ihrer (kulturellen) Herkunft” diese umständliche Umschreibung notwendig. Gerade das soll aber im Begriff enthalten sein.

Umgekehrt scheint es mir auch Programm zu sein, wenn sich gerade die schlimmsten Ausgrenzer und Pauschalisierer gerne auf den engsten möglichen Begriff von Rassismus zurückziehen. Dann können sie “korrekter” Kritik unverhältnismäßig aufgeblähte Wortmonster abverlangen und durch die Diskussion darüber vom eigentlichen Kritikpunkt ablenken. Wer hier genauere erfahren will, kann unter “Derailing” nachschlagen und hier etwas über praktische Aspekte erfahren.

Ist das jetzt deine persönliche Rassismustheorie?

Die Gefahr besteht. Daher ist der nächste logische Schritt, zu schauen, was die anderen machen. Welche Definitionen werden da herangezogen und von wem. Wenn wichtige und verbreitete Definition zu dem oben Gesagten passen, dann ist die Verwendung in diesem Sinne unbedenklich und wird wahrscheinlich nur dann zu Widerspruch Anlass geben, wenn gerade ein Derailing-Versuch unterwegs ist.

Lesen wir also nach:

UN Rassendiskriminierungskonvention (1965)

Artikel 1 (1) In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck “Rassendiskriminierung” jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.

Passt so weit, ist aber noch ziemlich eng gefasst, da die wissenschaftliche Überwindung der Idee von Menschenrassen damals noch nicht vollständig erfolgt war.

In Deutschland bleiben auch ziemlich wüste rassistische Ausfälligkeiten wie die von Thilo Sarrazin oder die von Malik Karabulut straffrei, wie die von der aktuellen Diskussion um “Flüchtlinge” noch weitgehend unbelastete Darstellung der Bundeszentrale für politische Bildung “Wenn die Vereinten Nationen von Rassismus sprechen – und Deutschland nicht” vom 12.6.2015 zu Recht beklagt. Daher wird man hier eher nicht fündig, wenn man etwas verbindliches sucht. Entsprechend ist sogar die Definitionsseite der bpb selbst eher auf was-ist-was Niveau. Man würde ihr eine Überarbeitung durch die Macher der “Sendung mit der Maus” wünschen.

Also mal bei den Nachbarn gucken: Die Schweizer, die ja nun nicht gerade im Verdacht überbordender Gastfreundschaft gegenüber Zuwanderern stehen, finden klare Worte:

«Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.» (Albert Memmi, 1992: Rassismus. Frankfurt a.M., S. 164)

Das klingt auf den ersten Blick sehr gut, weil es überhaupt keine einengenden Bedingungen mehr an die verwendeten Klassifikationsbegriffe macht. Zusätzlich kommt man mit ihr ohne wiederum zu erläuternde Begriffe wie Hass, Hetze o.ä. aus, und trotzdem geht meine bisherige Lieblingserklärung pauschalisierender Hass aufgrund Geschlecht, Abstammung, “Rasse”, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöser oder politischer Anschauungen, sexueller Orientierung oder sonstwas voll darin auf. Das liegt vermutlich daran, dass Memmi nicht versucht hat, etwas zu beschreiben (was ich bei der alten Formulierung getan habe) sondern die Formulierung anhand von sogenannten “Elementen” entwickelt hat (so wie ich bei diesem Text auch gestartet bin). Memmis Elemente waren

  • Differenz: (Über-)Betonung oder Konstruktion tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede
  • Wertung: Der Rassismus liegt nicht in der Feststellung eines Unterschieds, sondern in dessen Verwendung gegen einen anderen
  • Verallgemeinerung: Das Individuum wird nicht mehr für sich betrachtet, sondern als Mitglied einer Gruppe, deren Eigenschaften es zwangsläufig, a priori besitzt, es wird entindividualisiert.
  • Funktion: Sinn und Zweck des Rassismus liegt in der Vorherrschaft. Sekundär kompensiert er psychische Defizite,…

Das passt ziemlich gut zu den Kriterien, die ich oben aufgestellt habe:

  • Betonung des anders seins, “wir” gegen “sie”
  • ablehnende Ausgrenzung
  • Pauschalisierung, unpersönliche Klassifikationsmerkmale

Und deswegen erscheint mir das Ergebnis auch hervorragend geeignet. So will ich’s ab jetzt halten. Wem das zu abstrakt ist, der kann ja die Begründung oben nachlesen.

Oder doch Heterophobie?

Interessanterweise schlug Memmi in selben Werk auch vor:

Mit «Rassismus» soll ausschließlich die Ablehnung des anderen unter Berufung auf rein biologische Unterschiede, mit «Heterophobie» soll die Ablehnung des anderen unter Berufung auf Unterschiede jedweder Art gemeint sein. Damit wird der Rassismus zu einem Sonderfall der Heterophobie (zitiert nach Wikipedia)

Das würde tatsächlich viel unnötige Reibung aus der Diskussion nehmen, Derailing verhindern und z.B. auch diesen Text unnötig machen. Hätte sich das damals durchgesetzt – ich wär’ sofort dabei. Aber Hand aufs Herz: würde das jetzt und heute hier irgendjemand verstehen?

Umgekeht sagt Wikipedia, leider ohne Nachweis, Memmis Definition oben sei “die in der Rassismusforschung aktuell am breitesten akzeptierte Definition”. Belassen wir’s dabei.

Ne, doch!

Es kann übrigens durchaus sein, dass es völlig egal ist, welchen Begriff man im Detail anlegt, wenn z.B. Johannes Zuber im Fazit seiner Dissertation feststellt,

dass der biologisch konnotierte Rassismus im 21. Jahrhundert keineswegs eine längst überwundene und überholte Ideologie darstellt, sondern heute mehr denn je in unterschiedlichen –sämtliche gesellschaftliche Sphären umfassenden– Ebenen der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu identifizieren ist. Insbesondere die Kernelemente des biologisch-genetisch konnotierten ‚Rassenrassismus‘ sind wieder nachhaltig existent, auch wenn sie vornehmlich indirekt, verschleiert und verdeckt auftauchen, um vordergründig dem gesellschaftlichen Normen- und Wertesystem zu entsprechen.

Auf diese Argumentation einzusteigen hat allerdings den Nachteil, dass man in jedem Einzelfall nachweisen müsste, dass das verwendete Argument “nur” ein verkleidetes biologistisches ist. Zuber hat das Beispiel von Thilo Sarrazin’s Buch “Deutschland schafft sich ab” getan. Auf 15 Seiten weist er anhand von fast hundert Textstellen eine Dichte von fast 55% “K4” unter den Rassismen nach. Das mag zwar ein intellektuell befriedigender Sport sein, aber in der täglichen Diskussion ist das sicher nicht machbar. Pragmatisch geht anders.

Daher kann auch dieses interessante Forschungsergebnis mein Bekenntnis zu Memmis Definition nicht erschüttern. Aber vielleicht ist es ja versöhnlich gegenüber Leuten, die sich dem Thema zum ersten Mal nähern und sich ganz ohne politische Agenda einfach wundern, was Rassismus mit Islam zu tun hat.


Merkel muss weg

Bevor es die AfD gab, habe ich oft Texte geschrieben, in dem ich Regierungshandeln und speziell die Taktiererei der Kanzlerin kritisiert habe. Tatsächlich habe ich kaum ein gutes Haar daran gelassen:

  • Bildungsmisere
  • überbordender Lobbyismus
  • Waffenexporte
  • Visionslosigkeit zu Digitalisierung und Zukunft der Arbeit
  • anlasslose Massenüberwachung
  • Wachsen der Armut
  • Mietpreisexplosion
  • Aussitzen von Umweltproblemen
  • Massentierhaltung
  • Steuerungerechtigkeit
  • Verfall und Privatisierung von Infrastruktur
  • und ja, auch dafür, dass die Verwaltung hierzulande so schlecht vorbereitet war, als —zunächst— hauptsächlich vor dem Krieg in Syrien Geflohene nach Deutschland kamen.

Das waren die Themen.

Alle wichtig. Alle schlecht gelöst.

Seit es die AfD gibt, beherrscht gefühlt nur noch ein Thema die politische Diskussion. Und dieses wird auf eine dermaßen unanständige Art vorgetragen, mit plumpen rassistischen Argumentationslinien, nachgewiesenen Lügen und Verdrehungen und mit persönlichen Angriffen aus der untersten Schublade einer gossengeborenen Rüpelhaftigkeit, gegen die ein FJS in den Achzigern wie ein zartbesaiteter Intellektueller anmutet. So derbe und unsachlich ist es geworden, dass sich nun jeder entscheiden muss: stehe ich auf der Seite der demokratisch gewählten Regierung, auch wenn sie vieles tut, was mir ganz und gar nicht gefällt — oder bleibe ich dagegen und mache mich gemein mit rassistischen Hetzern, Lügnern, Verschwörungstheoretikern?

Dazwischen zu stehen ist kaum mehr möglich.

Noch viel weniger sachliche Kritik an der „Flüchtlingspolitik“ der Regierung. Und so sehe ausgerechnet ich mich dazu gedrängt, mich ausgerechnet vor diese Kanzlerin, vor diese Regierung zu stellen — weil die Alternative noch viel übler ist (pun intended). Oder, um es mit Karl Bub zu sagen:

Hätte […] nie gedacht, dass ich mal Frau Merkel, die ich seit 2005 aus Ihrer Position wünsche als das geringere Übel ansehen werde.
Karl Bub

Die AfD macht ja nur den vorhandenen Bodensatz der Leute sichtbar und messbar, die für rassistische und geschichtsrelativierende Argumentationsmuster empfänglich sind, wenn man sie ihnen anbietet. Das ist „white supremacy“ – für Leute, die sonst nichts haben, an dem sie sich festhalten können. Nicht gut, aber ein verstandener Mechanismus.

Aber wieso sind so viele Leute plötzlich empfänglich für auch noch die allerplumpeste Lüge?

Und, nur damit das jetzt nicht wieder einer verdreht: Ich meine damit nicht die sog. „Klimalüge“, sondern:

  • Ich meine die Behauptung, der durch menschliches Handeln mit verursachte Klimawandel sei unter ernsthaften Wissenschaftlern „umstritten“.
  • Ich meine die bewusst falsch zitierten Vermögenswertstatistiken einer Alice Weidel.
  • Ich meine die aufgebauschten und kritiklos weitergegebenen Lügengeschichten a la „Asylanten haben mein Pferd geschlachtet“.

Sowas halt.


Die Würde des Menschen ist unantastbar

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

So steht es im Grundgesetz. Es teilt “dem Menschen” diese Würde nicht etwa als Recht zu, sondern es stellt in aller gebotenen Schlichtheit fest, dass er diese Würde aus sich heraus hat. Jeder Mensch. Auch Rainer Wendt, auch Alexander Dobrindt, auch Beatrix von Storch, und natürlich auch jede und jeder, die oder der am Schlagbaum steht und –aus was für Gründen auch immer– um Schutz ersucht.

Ein Volk kann garnicht ausgetauscht werden wie soll das den gehen, das ist eure kranke hetz Ideologie und Fantasie wegen dem Weltkrieg in dem Nazi Deutsche gnadenlos Menschen Exikutiert haben und da durch ihr heute mit eurer kranken Fantasie die Politik und Gesselschaft verlomdnet und stolkt. Es sind nur Menschen dazu geckommen, der Deutsche wird doch dadurch nicht ersetz er ist dan immer noch da, aber auch der Nazi und das ist genau das Problem in diesem Land. Faschismus-Rassismus Diskriminierung und Ausgrenzung sind das Problem, und die AFD!
– Too many people

So leid es mir tut: auch diese unreflektierte Solidaritäts-Perspektive ist Teil des Problems.

Es sind eben nicht „nur“ Menschen, die da kommen, sondern sie bringen auch vielfältige soziale Prägungen und persönliche Geschichten mit, die in der eingeschwungenen Gesellschaft hier mindestens problematisch sind. Allein die Gewalt, die viele von ihnen zuhause und auf dem Weg erlebt haben, würde bei einem Bundeswehr-Soldaten zehnmal zu traumabedingter Frühverrentung austeichen. Ganz zu schweigen vom seit frühester Kindheit anerzogenen Frauenbild oder der in der Herkunftsgesellschaft gepflegten, und ganz sicher nicht differenzierten Ablehnung gegen Israel und Juden.

Ja, die AfD’er vergiften die Debatte darüber mit ihren rassistischen Parolen, aber wenn man so einseitig und realitätsfern dagegen hält, überzeugt man auch niemanden, sondern verfestigt und verbreitert nur die Spaltung.

Die Kunst wäre es, in Nächstenliebe und Barmherzigkeit gegenüber den Menschen zu überlegen, wie wir ihrer Altlasten Herr werden können.

Alle Menschen auf der Welt sind soziale Prägungen jeder Mensch auf die seine. Der eine Mensch hat mehr schlechte Erlebnisse gehabt der andere weniger, ebenso auch gute. Menschen sind in ihrer Würde gleich Wert und das sie Menschen einander definieren das ist schlecht für die Würde aller Menschen den alle Menschen tragen mehr und weniger Schande, und sind sie auch Opfer oder Täter und vor dem Gesetz in ihrer Würde gleich. Und haben es an Menschen doch alle Menschen es irgendwo zu verantworten. Darum ist ihre Provokation gegen Menschen zu hetzen einfach nur hinterlistig faschistisch und schlecht für alle Menschen, sie AFD Hetzerin.
– Too many people

Tja, da kann man ihm auch nicht mehr helfen…

Leider sind die beiden Beiträge von “Too many people” inzwischen verschwunden. Schade eigentlich.