Ausbürgern?

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Kannst Du ein sachliches oder politisches Argument nennen, warum man eingebürgerte Demokratiefeinde nicht wieder ausbürgern und danach eventuell ausweisen sollte? – Jo Brahms

Vorausgegangen waren der Frage einige Gedanken zum Wort “Passdeutscher”, sowie:

Deutschen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, ist durch Art. 16 GG grundsätzlich verboten. Dieses Verbot wird nur durch sehr wenige und gut überlegte Tatbestände aufgehoben. „Ansicht gefällt Jo Brahms nicht“ zählt nicht zu diesen aufhebenden Tatbeständen.

Ich dachte, die Frage sei damit bereits hinreichend beantwortet, aber wenn es denn sein muss, auch gerne nochmal im Detail:

Deutsche zweiter Klasse?

Wenn ein Mensch die deutsche Staatsbürgerschaft rechtmäßig erworben hat, dass ist er deutscher Staatsbürger ohne wenn und aber. Es gibt keine zwei Klassen von Deutschen, etwa “richtige” Deutsche und Deutsche “auf Bewährung”. Es gibt nur Deutsche. Einem Eingebürgerten die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, bedeutet einem Deutschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Und dem sind aus der geschichtlichen Erfahrung heraus hohe Hürden auferlegt worden.

“Jo Brahms” merkt zu Recht an, dass man gesetzliche Grundlagen für eine solche Ausbürgerung legen könnte.

Das wäre dann in seiner Qualität vergleichbar mit dem unsäglichen Herumschrauben am Art. 16(2)[1]/16a GG Anfang der 90er Jahre. Das hat damals funktioniert, weil man das Schutzrecht politisch Verfolgter formal nicht aufweichen musste, da die Betroffenen ja in den umgebenden EU-Ländern ein im Grundsatz ähnliches Asylrecht vorfänden. Indem man also den Nachbarn die Dublin-Daumenschrauben anlegte, konnte man sich selber des ungeliebten Verfassungsauftrages

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

weitgehend entledigen. Wie schlecht das Gewissen gewesen sein muss, erkennt man an den wortreichen Formulierungen, die das zuvor so klar auf den Punkt gebrachte Grundrecht bis zur Unkenntlichkeit verwässern.

Im Falle des Ausbürgerungsverbotes –welche Ironie: es ist auch Art. 16 GG– kann man das Schutzrecht definitionsgemäß nicht delegieren. Die Einführung deutscher Staatsbürger “auf Bewährung”, und damit “zweiter Klasse”, müsste also explizit geschehen und vor dem Verfassungsgericht Bestand haben. Auch wenn man dort unlängst Richter installiert hat, die ich dort nicht installieren würde, erscheint das schwer vorstellbar.

Exkurs: Die IS-Kämpfer-Debatte von 2015

Selbst im vermeintlich klaren Fall von Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die sich dem IS anschließen, und damit die grundlegenden Werte der Bundesrepublik Deutschland und der EU ablehnen und sich außerhalb dieser Werteordnung stellen (BMI) wurde 2015 nur eine Regelung unterhalb der Verfassung angestrebt, weil sich selbst Hartgesottene nicht an den Art. 16(1)[1] GG heran wagten.

Die einschlägigen Zusammenstellungen “Ausbürgerung aus Sicht des Völkerrechts” und “Verlust der Staatsangehörigkeit bei IS-Kämpfern, Rechtslage in ausgewählten EU-Staaten” der wissenschaftlichen Dienste des Bundestages geben einen Eindruck, warum.

Lustigerweise vertrat damals ausgerechnet der in rechten Kreisen heute so beliebte AfD-Freund Maaßen in diesem Zusammenhang die Außenseitermeinung. Bezeichnenderweise basierte seine Argumentation auf einer Wortklauberei und ist daher für Jo’s Anliegen genausowenig anwendbar wie der oben beschriebene Trick zum Aushebeln des Asyrechts.

Der geschichtliche Aspekt

Ich sagte oben, die Einführung von Staatsbürgern “auf Bewährung”, mithin “zweiter Klasse”, sei auf dem Boden des Grundgesetzes schwer vorstellbar. Nun, in Frankreich und Großbritannien war es offenbar vorstellbar (im letzteren Fall sogar mit direkt auf die Ausbürgerung folgenden Drohnenmord).

Aber Deutschland ist weder Frankreich noch Großbritannien und einem anständigen Umgang mit Menschen wird hierzulande, in der direkten Erfahrung einer wenig ruhmreichen jüngeren Vergangenheit –dem sog. “Vogelschiss”– ein anderer Stellenwert zugeordnet, als anderswo.

Wir erinnern uns: Das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 lege fest, dass

Einbürgerungen, die in der Zeit zwischen dem 9. November 1918 und dem 30. Januar 1933 vorgenommen worden sind, […] widerrufen werden [können], falls die Einbürgerung nicht als erwünscht anzusehen ist. Durch den Widerruf verlieren außer dem Eingebürgerten selbst auch diejenigen Personen die deutsche Staatsangehörigkeit, die sie ohne die Einbürgerung nicht erworben hätten.

Der Sinn des Gesetzes war nach damaliger Lehrbuchmeinung, „aus dem deutschen Volkskörper einen unerfreulichen Neuzuwachs wieder zu beseitigen.“ Unter fragwürdiger bis offen hanebüchener Berufung darauf haben sich die Nazis dann der kritischen Elite in Deutschland entledigt und bis Kriegsende über 39.000 Deutsche ausgebürgert. “Volksverräter aus dem Volkskörper ausmerzen” hieß das damals und man rief offen zur Ermordung der als “vogelfrei” Erklärten auf.

Heute würde sich sicherlich niemand mehr der Formulierung von 1933 bedienen. Allerdings werden die Forderungen nach Ausbürgerung für nicht gebürtige Deutsche –wie auch im vorliegenden Fall– regelmäßig im Umfeld von Überlegungen über “Pass-Deutsche”, “Überfremdung” oder “Multi-Kulti” erhoben. Und auch der Terminus “Volksverräter” geistert ja heute wieder durch die sog. “sozialen” Medien. Es ist also nicht nur verschämt, sondern völlig offen und in einschlägiger Terminologie davon die Rede, bestimmte Deutsche aufgrund ihrer Herkunft anders zu behandeln, als andere “unerfreuliche” Gestalten mit “deutscherer” Herkunft.

Im Kern drückt sich in der Forderung von heute also nichts anderes aus, als im Gesetz von 1933. Es ist traurig, dass die Protagonisten von heute nicht selbst darauf kommen. Und es ist erfreulich, dass sie nicht selbst darauf kommen müssen. Die Väter (und Mütter) des Grundgesetzes haben nämlich sehr, sehr viel Respekt vor einer möglichen Wiederholung der Geschichte gehabt und uns genau für solche Fälle folgendes mitgegeben:

Artikel 3 GG

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Und, als ob es angesichts der unmittelbaren Erfahrung des sog. “Dritten Reiches” noch einer Ausarbeitung von alle bedurft hätte:

(3) [1] Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Wir sehen also: Wer sich mit Art. 19(1) GG anlegt, der bekommt es auch mit Art. 3(1) zu tun. Und da die Situation in diesem Fall so einfach gelagert ist, können wir uns beruhigt zurücklehnen und auf Karlsruhe vertrauen.

Nazis raus?

Man könnte noch ausführen, dass ein Rausschmiss aus der eigenen Rechtsordnung natürlich ein Offenbarungseid der Rechtsstaatlichkeit an sich wäre, oder mit was für Diktaturen man sich gemein machen würde, führte man so etwas ein. Aber ich glaube, das ist müßig. Und deswegen wiederhole ich zum Abschluss mit voller Überzeugung einen Ansatz aus meinem ursprünglichen YouTube-Kommentar:

Ich ertappe mich immer wieder dabei, mir „Rauswerfen“ als Option für grundgesetzfernes Nazi-Gesindel zu wünschen. Aber sogar für diese nun wirklich unwürdigen Personen gilt der Schutz des Grundgesetzes. Und das ist auch gut so.


Nachtrag: Im Text oben ist die Passage gestrichen, dass die Nazis sich unter fragwürdiger bis offen hanebüchener Berufung auf das Gesetz vom 14.7.1933 ihrer Kritiker entledigt haben. Tatsächlich haben die Nazis wie immer darauf geachtet, ihre Untaten formal legal zu machen. In diesem Fall haben sie im §2 des Gesetzes gesagt: Wenn wir eurer hierzulande nicht habhaft werden und euch ins KZ stecken können, weil ihr euch abgesetzt habt, dann erklären wir euch eben im Ausland für vogelfrei.