Österreich und der Migrationspakt

| migration österreich lüge gcm

Österreich hat den Migrationspakt bekanntlich abgelehnt.

In der Erklärung der Regierung hiess es, die Republik entscheide souverän über die Zulassung von Zuwanderung und kenne kein «Menschenrecht auf Migration». Die Schaffung der völkerrechtlichen Kategorie des «Migranten» sei zudem zurückzuweisen. – Quelle: NZZ

(Über die betreute Meinungsbildung in Österreich kann man in dieser Fundsache spannendes Nachlesen. Für hier führt das aber zu weit und bleibt daher in Klammern.)

Und da sind sie wieder, die wohlbekannten Lügen.

Lüge 1: Souveränitätsverlust

So oft gesagt, so oft widerlegt. Wer Ohren hat zum hören, der höre, und wer Augen hat zum sehen, der sehe:

15. Wir sind uns darin einig, dass dieser Globale Pakt auf einer Reihe übergreifender und interdependenter Leitprinzipien beruht:
   a. Der Mensch im Mittelpunkt: …
   b. Internationale Zusammenarbeit: …
   c. Nationale Souveränität: Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln. Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden, einschließlich bei der Festlegung ihrer gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen zur Umsetzung des Globalen Paktes, unter Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Realitäten, Politiken, Prioritäten und Bestimmungen für Einreise, Aufenthalt und Arbeit und im Einklang mit dem Völkerrecht;
   d. rechtsstaatlichkeit und ordnungsgemäße Verfahren: …

– Global Compact for Migration A/CONF.231/3 (dt.), Seite 4

Hier ist es noch nicht einmal mehr erforderlich, irgendetwas zu erklären. Die Plattheit der Lüge leuchtet im Wortlaut aus dem Text heraus. Dass sie routinemäßig wiederholt wird, verwundert, dass sie geglaubt wird, lässt den Leser fassungslos zurück. Angesichts dieser Klarheit muss jeder, der den Text gelesen hat und die Lüge weiter verbreitet, als funktionaler Analphabet eingestuft werden.

Leider ist ein Nachweis nur selten so einfach zu führen.

Lüge 2: Menschenrecht auf Migration

Vor allem ist schwer, etwas nachzuweisen, was nicht da ist. Aber wir können die Sicht des “Pakts” auf Migration und Menschenrechte umreissen:

Der Pakt und die Menschenrechte

Eigentlich ist mit Punkt 2

[Der Pakt] beruht außerdem auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

genug gesagt. Aber es lohnt sich, die einzelnen Abschnitte durchzusehen. Tatsächlich lesen sich weite Teile das Textes wie eine ausführliche Paraphrasierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in ihrer speziellen Ausprägung für Migranten. Um die Darstellung leichter lesbar zu machen, habe ich die entsprechende Tabelle als Anhang beigefügt.

Haltung zur Migration

Ähnlich wie das Grundgesetz in Art. 1 die Unantastbarkeit der Würde des Menschen nicht etwa als Recht setzt, sozusagen einfordert, sondern feststellt, formuliert auch der Pakt kein Recht auf Migration, sondern stellt schlicht fest, dass es sie gibt.

Im Punkt 8 heißt es

Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.

Der hervorgehobene Teil ist oft das Ziel ätzender Kritik aus Kreisen der Ablehner. In der Folge wird der Pakt dann auch ausschließlich unter dem Aspekt “Migration aus Afrika nach Deutschland” besprochen. Dies offenbart den engstirnigen Eurozentrismus der Ablehner.

Denn selbstverständlich umfasst der Pakt nicht nur diese –das Denken der Ablehner ganz offensichtlich beherrschende– Ausprägung von Migration, sondern alle Menschen auf der Welt, die ihr Land aus was auch immer für Gründen verlassen. Ich hatte beim ersten Durchlesen schon die folgenden Beispiele angeführt:

  • den indischen Sklavenarbeiter in Abu Dhabi
  • die iranische Frau, die in der Türkei oder im Libanon zu unterbezahlter Arbeit (oder gleich zu sexuellen „Dienstleistungen“) erpresst wird, um sich bis zur Weiterreise ernähren zu können
  • den deutschen Auswanderer, dem in einem italienischen Ferienort eine Lizenz für eine weitere Surfschule verwehrt wird, da er Einheimischen Konkurrenz machen würde
  • den eritreischen Flüchtling, der im Sudan willkürlich von der Polizei inhaftiert wird, um Lösegeld von seiner Familie zu erpressen (ja, dafür gibt es „Tarife“)
  • das mexikanische Hausmädchen in Texas, das ohne Aufenthaltserlaubnis ihrem „Arbeitgeber“ wehrlos ausgeliefert ist

Sieht man also einmal vom eigenen Lieblingsthema ab, dann wird klar, dass Migration oft ganz gewaltig etwas mit dem Wohlstand in den Zielländern zu tun hat. Und oft auf wenig ehrenhafte Weise.

Und noch ne Lüge

Punkt 8 bemerkt übrigens weiter:

Die meisten Migranten auf der Welt reisen, leben und arbeiten heute auf sichere, geordnete und reguläre Weise. Dennoch hat Migration unbestreitbar sehr unterschiedliche und manchmal unvorhersehbare Auswirkungen auf unsere Länder und Gemeinschaften und auf die Migranten und ihre Familien selbst.

und entkräftet damit die gern genommene AfD-Lüge dass sich der Pakt Migration ausschließlich positiv darstelle und nur Rechte für die Migranten formuliere. Aber das im Detail zu debunken, braucht einen eigenen Artikel. Zumal es nicht wirklich was mit Österreich zu tun hat.

Und was bedeutet die Ablehnung jetzt für Österreich?

Für Österreich (und Deutschland) gilt praktisch alles, was im Migrationspakt an Rechten für Migranten gefordert wird, aufgrund geltender Rechtslage sowieso. Die Leistungen aus der Umsetzung des Paktes müssen von den ärmeren Ländern des Südens erbracht werden, und wer dabei hilft, hilft sich selbst.

Österreich hat jetzt erst mal demonstrativ den “Weidel Stampf” gemacht und gesagt: WIR helfen euch dabei nicht.

Warum? Das erschließt sich mir nicht wirklich. Wahrscheinlich aus ähnlich kurzsichtigen Motiven wie die AfD: Machterhalt. Wenn die Bevölkerung versteht, welche gigantische Umwälzung da losgetreten wurde, haben sie mit ihrer stumpfen Lügen –mit denen sie ja sowieso nur die 15% erreichen konnten, die gerade nicht “selbst denken”– überhaupt keine Chancen mehr. Wie in Deutschland erleben wir möglicherweise auch in Österreich das letzte Aufbäumen der Rechtspopulisten.

Viel wichtiger als diese Ewiggestrigen ist jetzt, wieviel Geld tatsächlich in den Aufbau von Infrastruktur und Bildung in den Ländern investiert wird, aus denen die Menschen bisher weg wollten (18b-e). “Der Westen” hat sich lange genug an deren Menschen und Bodenschätzen fett gefressen – jetzt kann er anfangen, das wieder gut zu machen.

Und, Hand aufs Herz, was wäre bei so einem gigantischen Vorhaben “Aufbau Süd” von Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien auch großartiges zu erwarten? Vielleicht sollte sich Österreich tatsächlich erst mal darum kümmern, die rechtsradikalen Mini-Volkswirtschaften in seiner Nachbarschaft auf mitteleuropäisches Niveau zu bringen, damit sie “uns” nicht so arg auf der Tasche liegen.

Nur dieser kindische “Weidel Stampf” hätte halt nicht sein müssen.

Anhang: GCM vs. AEMR

GCM Titel AEMR
19 Bereitstellung korrekter und zeitnaher Informationen in allen Phasen der Migration 6 (GCM 19d)
20 Sicherstellung dessen, dass alle Migranten über den Nachweis einer rechtlichen Identität und ausreichende Dokumente verfügen 6,15
22 Förderung einer fairen und ethisch vertretbaren Rekrutierung von Arbeitskräften und Gewährleistung der Bedingungen für eine menschenwürdige Arbeit 23,24,25
23 Bewältigung und Minderung prekärer Situationen im Rahmen von Migration 22
24 Rettung von Menschenleben und Festlegung koordinierter internationaler Maßnahmen betreffend vermisste Migranten 3 (Recht auf Leben)
26 Prävention, Bekämpfung und Beseitigung von Menschenhandel im Kontext der internationalen Migration 4
28 Stärkung der Rechtssicherheit und Planbarkeit bei Migrationsverfahren zur Gewährleistung einer angemessenen Prüfung, Bewertung und Weiterverweisung 6
29 Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel und Bemühung um Alternativen 5,6,7,8,9
31 Gewährleistung des Zugangs von Migranten zu Grundleistungen 22, 25(1)
32 Befähigung von Migranten und Gesellschaften zur Verwirklichung der vollständigen Inklusion und des sozialen Zusammenhalts 27,28
33 Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration 2